In demokratischen Gesellschaften gilt das Ideal der Chancengleichheit: Jeder Mensch soll – unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Vermögen – die Möglichkeit haben, ein gutes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Doch dieses Ideal gerät zunehmend ins Wanken. Nicht durch äußere Feinde der Demokratie, sondern durch ein wachsendes inneres Ungleichgewicht: die massive und zunehmende Konzentration von Vermögen in den Händen weniger.
Vermögensverteilung in Deutschland – ein realer Blick
Deutschland gehört zu den Ländern mit einer besonders ungleichen Vermögensverteilung. Laut Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) besitzen die reichsten 10 % der Bevölkerung rund 60 % des gesamten Nettovermögens, während die ärmere Hälfte gemeinsam weniger als 1 % besitzt. Besonders deutlich zeigt sich die Schieflage am Vermögensmedian: Dieser liegt bei rund 80.000 Euro – das heißt, die Hälfte der Bevölkerung hat weniger als diesen Betrag. Demgegenüber steht ein Durchschnittsvermögen von über 300.000 Euro, das durch extrem hohe Vermögen nach oben verzerrt wird.
Diese Differenz zeigt: In Deutschland sind nicht nur Einkommen, sondern vor allem Vermögen extrem ungleich verteilt. Während einige Familien Millionen besitzen, verfügen viele über keinerlei Rücklagen – und haben keine realistische Aussicht auf Wohneigentum, Vermögensbildung oder finanzielle Sicherheit im Alter.
Vermögen als Machtinstrument
Diese Konzentration von Vermögen hat weitreichende politische, mediale und wirtschaftliche Konsequenzen. Großes Vermögen ist nicht nur finanzieller Rückhalt – es ist auch ein Machtinstrument. Wer über Kapital verfügt, kann auf vielfältige Weise Einfluss ausüben: durch Lobbyarbeit, durch Parteispenden, durch Beteiligungen an Unternehmen, durch Stiftungen oder durch Kontrolle über Medienhäuser. Auf diese Weise prägt Vermögen die politische Meinungsbildung, beeinflusst Gesetzgebungsverfahren und formt die gesellschaftliche Wirklichkeitswahrnehmung.
Ein anschauliches Beispiel ist die enge Verbindung zwischen wirtschaftlichem Einfluss und Medienmacht: In Deutschland befindet sich ein erheblicher Teil der reichweitenstarken Medien – etwa Axel Springer, Bertelsmann oder Holtzbrinck – in der Hand weniger Eigentümerfamilien oder Großaktionäre. Diese besitzen damit nicht nur wirtschaftliche Macht, sondern auch die Möglichkeit, die öffentliche Meinung zu formen. Ob bewusst oder strukturell, diese Medien berichten häufig innerhalb eines Rahmens, der die bestehenden Eigentumsverhältnisse nicht grundsätzlich infrage stellt. Kritische Berichterstattung über Vermögensverteilung, Steuerpolitik oder wirtschaftliche Machtstrukturen findet nur begrenzt statt – oder gerät schnell ins Fahrwasser der „Neiddebatte“.
Hinzu kommt die Beteiligung reicher Familien an Großkonzernen, etwa über Familienstiftungen oder Holdinggesellschaften. Diese Konstruktionen ermöglichen es, wirtschaftlichen Einfluss über Generationen zu konservieren – steuerlich begünstigt, politisch geschützt. So entsteht ein Kreislauf, in dem Vermögen nicht nur erhalten, sondern auch systematisch in Macht umgewandelt wird, die wiederum genutzt werden kann, um politische Veränderungen im Sinne des Status quo zu verhindern.
Wer erbt, lebt anders – und länger sicher
Ein wachsender Teil des Reichtums wird nicht mehr erarbeitet, sondern vererbt. Rund 400 Milliarden Euro wechseln jährlich den Besitzer – meist innerhalb wohlhabender Familien. Diese Erbschaften sind höchst ungleich verteilt: Das reichste Zehntel der Bevölkerung erhält mehr als die Hälfte des übertragenen Vermögens. Wer nichts oder nur wenig erbt, beginnt sein Leben mit deutlich geringeren Chancen: geringere Bildungsperspektiven, mehr finanzielle Unsicherheit, geringere Lebenserwartung.
Ein gern zitierter Spruch und zugleich eine der großen Lebenslügen lautet: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Doch wie soll jemand ohne Schmiede, Amboss oder Werkzeug sein Glück „schmieden“? Wer in eine wohlhabende Familie hineingeboren wird, erbt nicht nur Vermögen, sondern auch Netzwerke, Selbstvertrauen und Sicherheit. Wer arm geboren wird, lebt oft in beengten Wohnverhältnissen, besucht schlechter ausgestattete Schulen und trägt finanzielle Verantwortung von klein auf. Der Mythos vom selbstgemachten Glück dient in dieser Realität eher der moralischen Rechtfertigung bestehender Privilegien als der gesellschaftlichen Wahrheit.
Die Rolle der Politik – Ungleichheit als Systemeffekt
Diese Entwicklung ist kein Naturgesetz. Sie ist das Ergebnis politischer Entscheidungen – vor allem in der Steuerpolitik. Seit den 1990er-Jahren haben zahlreiche Gesetzesreformen dazu geführt, dass Vermögende systematisch privilegiert wurden:
- Die Vermögensteuer wurde 1997 ausgesetzt – seither bleibt großes Vermögen nahezu unberührt.
- Die Erbschaftsteuer erlaubt weitreichende Ausnahmen, insbesondere für Betriebsvermögen. Großvermögen können so steuerfrei weitergegeben werden, während kleine Erbschaften im privaten Bereich stärker besteuert werden.
- Kapitalerträge wie Dividenden und Zinsen werden mit der Abgeltungsteuer von 25 % pauschal besteuert – oft niedriger als der Steuersatz auf Arbeitseinkommen.
- Die Mehrwertsteuer trifft alle gleich – doch in der Wirkung ist sie zutiefst ungleich. Menschen mit geringem Einkommen sind gezwungen, einen deutlich größeren Teil ihres Geldes für Konsum auszugeben – und zahlen mit 19 % MwSt faktisch einen höheren Anteil ihres Einkommens in Form von Steuern.
Diese Steuerpolitik begünstigt die Akkumulation von Vermögen in den oberen Schichten – und verschärft zugleich die Belastung der unteren. Während auf Arbeit, Konsum und kleine Einkommen erhebliche Steuern lasten, bleiben große Vermögen und deren Übertragungen weitgehend unangetastet.
Ungleichheit gefährdet die Demokratie
Diese wirtschaftliche Schieflage hat tiefgreifende politische Folgen. Die demokratische Idee basiert auf der Gleichwertigkeit aller Bürgerinnen und Bürger. Wenn jedoch Teilhabe, Einfluss und Lebenssicherheit immer stärker vom Besitz abhängen, gerät dieses Gleichgewicht ins Wanken. Vermögende Menschen haben besseren Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Justiz und politischer Repräsentation. Sie finanzieren Lobbyarbeit, unterstützen Parteien, beeinflussen Debatten – während andere nicht einmal die Miete sicher zahlen können.
Gleichzeitig sinkt bei jenen ohne Perspektive das Vertrauen in Institutionen. Wenn das Gefühl überwiegt, ohnehin nichts ändern zu können, wenden sich viele von der Politik ab – oder radikalisieren sich. Die gesellschaftliche Spaltung wird tiefer, der soziale Kitt brüchiger.
Zukunft auf dem Prüfstand
Die ungleiche Vermögensverteilung ist keine abstrakte Statistik – sie entscheidet über reale Zukunftsperspektiven. Wer nichts besitzt, lebt mit mehr Stress, weniger Gesundheit, geringerer Lebenserwartung – und mit dem Gefühl, abgehängt zu sein. In einer solchen Gesellschaft ist das Ideal der Chancengleichheit kaum mehr als eine leere Hülle. Und wenn Vermögen bestimmt, wer Einfluss, Sicherheit und Lebensqualität hat, verwandelt sich Demokratie in eine Fassade.
Fazit
Die zunehmende Vermögenskonzentration in Deutschland ist kein Zufallsprodukt – sie ist das Resultat jahrzehntelanger politischer Entscheidungen, die Vermögen begünstigen und Arbeit benachteiligen. Vermögen wird nicht nur bewahrt, sondern in Macht verwandelt – über Medien, Unternehmen, Stiftungen und politische Netzwerke. Diese Entwicklung gefährdet nicht nur sozialen Zusammenhalt, sondern auch die Grundlagen der Demokratie. Ein gerechtes Gemeinwesen braucht echte Teilhabechancen für alle – das erfordert Mut zur Umverteilung, eine neue Debatte über Steuergerechtigkeit und die Bereitschaft, alte Ideologien zu hinterfragen. Denn solange Herkunft mehr zählt als Leistung, leben wir nicht in einer Demokratie der Möglichkeiten, sondern in einer Erbengesellschaft mit systemischer Ungleichheit.
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