Ursprung der Erkenntnis
Am Anfang steht ein innerer oder äußerer Impuls, der zum Denken anregt. Je mehr wir denken, umso mehr Impulse lösen sich aus dem ungeheuren Wissens- und Erfahrungsschatz des im Unbewussten Verborgenen, um an die Oberfläche des Bewusstseins zu drängen, wo sie zunächst zu einem Bach, dann zu einem Fluss und schließlich zu einem endlosen Strom anschwellen.
Die Macht der Sprache
Gibt es etwas Bedeutsameres als die Sprache? Wohl kaum. Sie ist nicht nur das Tor zu allem, sondern auch das mächtigste Werkzeug unseres Verstandes. Ohne Sprache bleibt der Geist gefangen in stummer Finsternis, reduziert auf blinde Instinkte. In der Stille des Ungesagten wird die Seele erstickt; erst ein gesprochenes Wort haucht dem Denken Leben ein. Mit jedem Wort sprengen wir die Fesseln des Jetzt und weiten unseren Blick über das Hier und Heute hinaus.
Sprache als Haus des Seins
Heidegger nannte die Sprache „das Haus des Seins“. In ihr wachsen unsere Gedanken, und sie formt Vorstellungskraft aus dem Nebel des Unbestimmten, verleiht dem Abstrakten Kontur und lässt das Reich der Fiktion lebendig werden. Anders als Tiere, die bloß dem unmittelbaren Impuls folgen, weben wir mit Worten neue Welten, schreiben Geschichte mit Sätzen und erschaffen Zukunft im Geiste. Durch Sprache wird der Mensch zum Schöpfer seiner eigenen Realität – gleichsam ein Gott im Gewebe seiner Geschichten. Sie verleiht uns einen prometheischen Wagemut, das eigene Sein zu gestalten: ein radikaler Akt schöpferischer Freiheit, der uns in der Ordnung der Natur einsam dastehen lässt.
Die Grenzen unserer Welt
Wittgenstein hat einmal festgestellt: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Erst die Sprache ermöglicht es uns, über das bloße Dasein hinauszublicken und nach dem Warum, nach dem Sinn zu fragen. Wörter sind Leitsterne auf dem Nebelmeer des Denkens; sie geben Orientierung im Chaos existenzieller Fragen. Je reicher unser Wortschatz, desto klarer unser Blick auf die Wunder der Welt: Jedes Wort fügt dem Bild unserer Wahrnehmung einen neuen Farbton hinzu, jeder Begriff öffnet ein Fenster zu unbekannten Gestaden der Erkenntnis. In diesen Gestaden leuchtet die Fülle der Schöpfung und ihre innewohnende Schönheit. So öffnet der Reichtum der Sprache das Tor zum Glück – jenes Glück, das uns, wenn wir es erkennen, in jedem Augenblick unseres Lebens umgibt.
Verantwortung in der Erziehung
In Anbetracht der ungeheuren Macht der Sprache wird die Aufgabe deutlich, die wir in der Erziehung haben: jedes Kind in die Geheimnisse der Sprache einzuführen. Eltern, die ihren Kindern Sprache schenken, überreichen ihnen nicht nur ein Instrument des Denkens, sondern öffnen damit auch die Tore zur Seele der Welt. Mit jedem gemeinsamen Gespräch, mit jedem vorgelesenen Wort pflanzen sie einen Garten der Erkenntnis, in dem das Kind später selbst Fragen säen und Antworten ernten kann. Diese Gabe – ein reich entfalteter Wortschatz und die Freude am eigenständigen Denken – ist das größte Geschenk, das Eltern ihren Kindern machen können. Kann es ein größeres Glück geben, als einen jungen Menschen vor sich zu sehen, der mithilfe seiner eigenen Worte und Gedanken die Wunder des Lebens ergreift und die Welt ein Stück deutlicher begreift?
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