Die Nachricht schlug ein wie ein Paukenschlag: Bosch kündigt den Abbau von 13.000 Stellen in Deutschland an. Besonders betroffen sind Werke in Stuttgart-Feuerbach, Schwieberdingen, Waiblingen, Bühl und Homburg. In Feuerbach allein fallen 3.500 Arbeitsplätze weg. Waiblingen wird komplett geschlossen. Damit verliert nicht nur ein Traditionskonzern Arbeitsplätze – es verliert das Herz der deutschen Autoindustrie seine Substanz.
Was hier sichtbar wird, ist keine isolierte Entscheidung eines Unternehmens. Es ist der Beleg für eine Entwicklung, die längst unübersehbar ist: Deutschland befindet sich im industriellen Ausnahmezustand.
Eine Welle von Stellenstreichungen
Bosch ist nicht allein. In den vergangenen Jahren hat sich eine Kette von Hiobsbotschaften durch die deutsche Industrie gezogen. Seit 2019 sind 245.000 Industriearbeitsplätze verloren gegangen. Allein im ersten Halbjahr 2025 kamen weitere 43.700 Stellen hinzu. Seit dem 1. Juli wurden zusätzlich 125.000 weitere Kürzungen angekündigt.
Die Liste der Konzerne liest sich wie ein Lagebericht aus einem Land im industriellen Ausnahmezustand: ZF Friedrichshafen streicht 14.000 Stellen, Thyssenkrupp 11.000, Continental 7.100, die Deutsche Bahn 30.000. Ganze Standorte verschwinden. Deutschland erlebt einen Substanzverlust, wie es ihn seit den Krisenjahren der 1990er nicht mehr gegeben hat.
Insolvenzen und Arbeitslosigkeit steigen
Parallel steigt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen rasant. Laut Statistischem Bundesamt legten die Regelinsolvenzen im August 2025 um 11,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu, im Juli waren es sogar +19,2 Prozent. Im gesamten ersten Halbjahr stieg die Zahl der Insolvenzen um 12,2 Prozent.
Dieser Trend schlägt nun auf den Arbeitsmarkt durch. Im August 2025 waren 3,025 Millionen Menschen arbeitslos, das sind 153.000 mehr als ein Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote kletterte auf 6,4 Prozent. Das ist der höchste Stand seit fast einem Jahrzehnt.
Damit fällt die Maske: Die Behauptung von der „robusten Beschäftigung“ ist nicht länger haltbar. Insolvenzen, Stellenabbau und Investitionsflucht reißen Lücken, die sich nicht mehr kaschieren lassen.
Energiepolitik als Standortkiller
Energie war jahrzehntelang ein deutscher Standortvorteil. Verlässlicher Strom, bezahlbares Gas, sichere Netze – das war der Grund, warum sich Industrien hier ansiedelten. Dieser Vorteil ist verspielt.
Der Ausstieg aus der Kernenergie, der überhastete Rückzug aus der Kohle und der abrupte Stopp russischer Gasimporte haben ein Loch in die Energiearchitektur gerissen. Heute zahlt die Industrie Preise, die im internationalen Vergleich ruinös sind.
Der Industriestrompreis lag 2024 im Durchschnitt bei 16,8 Cent pro Kilowattstunde – in den USA zahlen Unternehmen oft weniger als 7 Cent. Gas kostet heute mehr als das Doppelte des früheren Pipelinepreises. LNG muss verflüssigt, verschifft und wieder regasifiziert werden – jeder Schritt treibt den Preis. Gleichzeitig bezahlt Deutschland doppelt: für den Aufbau erneuerbarer Energien und für fossile Schattenkraftwerke, die einspringen, wenn Wind und Sonne ausfallen.
Das Ergebnis: Unternehmen verlieren Wettbewerbsfähigkeit, Investitionen wandern ab, ganze Wertschöpfungsketten geraten ins Wanken.
Implizite Schulden: Die unsichtbare Bürde
Doch nicht nur Energie- und Standortkosten belasten die Zukunft. Wenig diskutiert, aber entscheidend, sind die impliziten Schulden. Gemeint sind die Versorgungs- und Rentenzusagen des Staates, die künftige Generationen zahlen müssen.
Experten beziffern diese unsichtbaren Verbindlichkeiten auf bis zu 13 Billionen Euro. Zusammengenommen mit der offiziellen Staatsschuld von derzeit 2,5 Billionen Euro ergibt sich eine Gesamtbelastung von über 15 Billionen Euro – fast das Vierfache des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Allein die Pensionsverpflichtungen für Beamte belaufen sich auf 4,5 Billionen Euro.
Das sind Summen, die jede Haushaltsdebatte der Zukunft dominieren werden. Während die Politik so tut, als ließe sich die Lage mit ein paar Konsolidierungsprogrammen in den Griff bekommen, tickt hier eine Zeitbombe.
Sondervermögen und Kriegstüchtigkeit
Hinzu kommen neue Schattenhaushalte. Das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr ist erst der Anfang. Politisch wird längst gefordert, 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in „Kriegstüchtigkeit“ und Verteidigung zu investieren. Das wären ca. 250 Milliarden Euro pro Jahr.
Auch für Klima, Digitalisierung und Infrastruktur werden neue Sondervermögen geschaffen. All das wird auf Pump finanziert. Schulden, die nicht produktive Investitionen befeuern, sondern laufenden Konsum und politische Projekte.
Die Folge: Die Zinslast explodiert. 2024 stiegen die Zinsausgaben des Staates um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Jeder Euro, der in Zinsen fließt, fehlt für Entlastungen, Investitionen und Zukunftsprojekte.
Kapitalflucht: Deutschland verliert seine Substanz
Während der Staat Schulden macht, zieht sich privates Kapital zurück.
2022 verließen netto 125 Milliarden Euro Kapital das Land – ein historischer Rekord. Deutsche Unternehmen investieren heute lieber in den USA oder China als in Deutschland. BASF baut neue Großanlagen in Zhanjiang, während in Ludwigshafen Werke stillgelegt werden. Mittelständler verlagern Fertigung nach Osteuropa oder Südostasien.
Der Kapitalstock in Deutschland erodiert seit Jahren. Investitionen im Inland reichen nicht mehr aus, um die Abnutzung von Maschinen, Anlagen und Infrastruktur auszugleichen. Deutschland lebt von der Substanz – ein Spiel, das sich nicht lange fortsetzen lässt.
Die zerstörerische Spirale
Energiepreise, Bürokratie, Kapitalflucht, implizite Schulden und neue Sondervermögen – all das greift ineinander. Es entsteht eine Spirale, die alles erfasst.
Hohe Kosten und Unsicherheit fressen die Gewinne der Unternehmen. Insolvenzen und Stellenabbau schwächen Kaufkraft und Steuereinnahmen. Arbeitslosigkeit und Sozialausgaben steigen. Staatsschulden und Zinslast binden immer mehr Mittel. Kapital fließt ins Ausland, die Investitionsbasis schrumpft weiter.
Am Ende bleibt ein Land, das von seinen eigenen politischen Entscheidungen stranguliert wird.
Fazit: Ausnahmezustand als Normalität
Deutschland befindet sich in einem Zustand, der vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wäre. Bosch ist nicht die Ursache, sondern das Symptom.
Wenn selbst ein finanzstarker, diversifizierter Konzern wie Bosch eine Kostenlücke von 2,5 Milliarden Euro nicht mehr schließen kann, was bedeutet das für mittelständische Zulieferer, die keinen Stiftungsfonds im Rücken haben?
Die Antwort ist klar: Sie werden schließen, verlagern oder verschwinden. Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Wohlstand lösen sich auf.
Was bleibt, ist ein Land im industriellen Ausnahmezustand – und eine Politik, die weiter von Transformation spricht, während in Wahrheit die Grundlagen des Wohlstands zerstört werden, den Generationen zuvor aufgebaut haben.
Quellen
- Statistisches Bundesamt (Destatis), Pressemitteilungen zu Insolvenzen Juli/August 2025
- Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktdaten Juni/August 2025
- Bosch-Pressemitteilung zum Stellenabbau, 2025
- Bundesnetzagentur, Strom- und Gaspreisstatistiken 2024/25
- IW Köln, Investitionsabflüsse 2022
- Bundesbank, Direktinvestitionsbestände 2023
- Wirtschaftsdienst, Analysen zu impliziten Schulden und Pensionslasten
- BMF/Destatis, Daten zur Staatsschuld und Zinsausgaben 2024
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