Wie der Exportweltmeister den Wohlstand verhindert
Deutschland wird gern als wirtschaftliches Musterland dargestellt – stabil, leistungsfähig, wohlhabend. Die Exportbilanz glänzt, die Industrie gilt als leistungsstark, die Beschäftigungsquote ist hoch. Doch unter der Oberfläche dieses Selbstbildes offenbart sich ein beunruhigendes Paradox: Die privaten Haushalte in Deutschland zählen zu den ärmsten Westeuropas – wenn man den Median des Vermögens betrachtet.
Vermögensmedian: Der ehrliche Blick auf den Wohlstand
Während Politik und Medien oft mit dem Durchschnittsvermögen operieren – das in Deutschland bei rund 316.000 € liegt –, verschleiert dieser Wert die Realität für die Mehrheit der Bevölkerung. Denn Durchschnittswerte sind durch extreme Ausreißer nach oben verzerrt: Ein paar Superreiche heben den Durchschnitt – doch die Mehrheit profitiert davon nicht.
Aussagekräftiger ist der Median, also der Punkt, bei dem die Hälfte der Haushalte weniger Vermögen besitzt – und nur die andere Hälfte mehr. Laut der aktuellsten Erhebung der Europäischen Zentralbank (HFCS – Household Finance and Consumption Survey) liegt der Nettovermögensmedian deutscher Haushalte bei rund 106.000 Euro. Das klingt zunächst solide – bis man sich die Werte in anderen Euro-Ländern anschaut:
- Belgien: ca. 258.000 €
- Niederlande: ca. 168.000 €
- Frankreich: ca. 141.000 €
- Spanien: ca. 120.000 €
- Italien: ca. 119.000 €
- Deutschland: ca. 106.000 €
- Slowakei: ca. 102.000 €
- Portugal: ca. 99.000 €
Noch dramatischer wird der Unterschied, wenn man bedenkt, dass in Ländern wie Spanien oder Italien die Einkommen im Durchschnitt niedriger sind – doch dort besitzen Haushalte mehr als in der deutschen Mittelschicht. Diese Tatsache konterkariert den Mythos vom reichen Deutschen und offenbart eine strukturelle Schwäche, die viele politische Narrative infrage stellt.
Ein zentrales Tabu: Deutschland ist entgegen den Aussagen von Wirtschaftsverbänden und Politikern ein Niedriglohnland
Eine der entscheidenden Ursachen für die geringen Vermögen ist die seit Jahrzehnten anhaltende ungewöhnlich niedrige Lohnentwicklung breiter Bevölkerungsschichten – ein Thema, das systematisch verdrängt wird. Während Politiker und Wirtschaftsvertreter Deutschland oft als Hochlohnstandort bezeichnen, zeigt ein Blick in die Realität: Deutschland ist längst ein Niedriglohnland.
- Laut OECD-Daten arbeitet jeder fünfte Beschäftigte (20 %) für einen Niedriglohn, also weniger als zwei Drittel des mittleren Bruttolohns – ein Spitzenwert in Westeuropa.
- Reallöhne stagnierten über Jahrzehnte – inflationsbereinigt sind viele Löhne heute kaum höher als im Jahr 1970. Gleichzeitig sind sie mit zusätzlichen, früher nicht vorhandenen Kosten belastet.
- Der Versuch, den Mindestlohn auf ein armutsfestes Niveau von 15 € anzuheben, scheiterte am Widerstand der Arbeitgeberverbände und wirtschaftsnaher Parteien. Die Erhöhung auf 12,41 € ab 2025 bedeutet angesichts der Inflation sogar, wie bei den Renten, einen Kaufkraftverlust.
Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern das Ergebnis der Agenda-2010-Politik, die mit dem Versprechen kam, die „Wettbewerbsfähigkeit“ Deutschlands zu erhöhen. In Wahrheit wurde ein gigantischer Niedriglohnsektor etabliert, der vielen zwar einen Job brachte – aber nicht den Weg zu finanzieller Unabhängigkeit oder Vermögensbildung.
Ein fortschreitendes Prekariat statt Eigentum
Das Ergebnis ist fatal: Millionen Menschen in Deutschland leben in prekären oder nur scheinbar stabilen Verhältnissen. Sparen ist für viele schlicht nicht möglich – und ohne Sparen kein Vermögen. Die geringe Wohneigentumsquote von rund 45 % verschärft das Problem weiter. In Ländern wie Spanien oder Italien liegt sie bei über 70 %. Dort vererben Eltern Immobilien, hierzulande oft Mietverträge.
Gleichzeitig wächst die Vermögensungleichheit rapide: Laut einer Studie der Bundesbank besitzen die reichsten 10 % rund 60 % des gesamten Nettovermögens – und das oberste Prozent sogar mehr als die untere Hälfte der Bevölkerung zusammen. Während wenige Familien Dutzende Immobilien oder Unternehmensanteile besitzen, haben Millionen Haushalte faktisch nichts – oder Schulden.
Ein Land in sozialer und ökonomischer Schieflage
Das hat nicht nur wirtschaftliche, sondern tiefgreifende gesellschaftliche Folgen. Wenn ein Großteil der Bevölkerung trotz lebenslanger Arbeit kein nennenswertes Vermögen aufbauen kann, schwindet das Vertrauen in den Sozialstaat, die Demokratie – und letztlich in das Versprechen von Aufstieg durch Leistung.
Doch die Folgen reichen weit über das Soziale hinaus: Auch die Entwicklung des Binnenmarktes wird massiv gehemmt. Denn ein starker Binnenmarkt lebt von einer breiten konsumfähigen Mittelschicht. Wenn aber Millionen Menschen ihre Einkommen vollständig für Miete, Energie und Grundnahrungsmittel aufwenden müssen, bricht die Nachfrage im Inland ein. Konsumzurückhaltung, Sparzwang und Unsicherheit schwächen nicht nur die Lebensqualität – sie drosseln gezielt das Wachstum im eigenen Land. Unternehmen blicken zunehmend ins Ausland, der Binnenmarkt wurde zum Stiefkind der deutschen Wirtschaftspolitik. Das wiederum erhöht die Abhängigkeit vom Export – und macht das Land, wie wir dies aktuell erleben, krisenanfälliger.
Was sich ändern muss
Die Rückkehr zu einem echten Wohlstandsversprechen braucht strukturellen Mut:
- Faire Löhne statt Lohndumping
- Steuerliche Entlastung unterer und mittlerer Einkommen
- Förderung von Wohneigentum, z. B. durch Senkung von Grunderwerbssteuer und Eigenkapitalhilfen
- Stärkere Besteuerung großer Vermögen, um Investitionen in Bildung, Infrastruktur und soziale Sicherheit zu finanzieren
- Abschaffung prekärer Beschäftigungsformen, hin zu stabilen, gut bezahlten Arbeitsverhältnissen
Ernüchterndes Fazit: Zwischen Exporterfolg und Armutsrealität – und dem Verrat an der eigenen Bevölkerung
- Das Bild vom reichen Deutschland ist eine politische Fassade – errichtet von jenen, die seit Jahrzehnten die Macht innehaben und von dieser Täuschung profitieren. Die Realität dahinter ist düster: Ein wirtschaftlich starkes Land mit einer zunehmend ausgezehrten Bevölkerung. Ein Land mit glänzenden Außenbilanzen – und Millionen Menschen, die trotz lebenslanger Arbeit kein nennenswertes Vermögen aufbauen konnten.
- Und diese Entwicklung ist kein Betriebsunfall der Geschichte, kein unbeabsichtigter Nebeneffekt der Globalisierung – sie ist das Ergebnis bewusster politischer Entscheidungen. Entscheidungen, die wieder und wieder von den immer gleichen Parteien getroffen wurden: SPD, CDU/CSU und FDP – oft im Wechsel, noch häufiger gemeinsam.
- Wer hat den größten Niedriglohnsektor Westeuropas geschaffen? Die SPD mit der Agenda 2010 – im Schulterschluss mit der Wirtschaftslobby und unter Applaus der Union.
- Wer hat die Reallöhne über Jahre eingefroren, während die Exporte explodierten? Die CDU unter Merkel, die in ihrer angeblichen „Sozialen Marktwirtschaft“ das Sozialstaatliche systematisch aushöhlte.
- Wer blockiert seit Jahrzehnten Vermögenssteuern, eine faire Erbschaftsbesteuerung und die Entlastung kleiner Einkommen? Die FDP – und alle anderen, die sich lieber mit Großspendern als mit Gerechtigkeit befassen.
- Wer hat das deutsche Rentensystem privatisiert, die gesetzliche Rente entwertet und Millionen Menschen in überteuerte Riester-Verträge gedrängt? Alle zusammen.
- Wer hat zugelassen, dass die Eigentumsquote in Deutschland auf einem europäischen Tiefstand verharrt, während die Mieten explodieren? Die Regierungen, die auf Wohnungskonzerne hörten statt auf Mieter.
- Und wer verkauft all das bis heute als Erfolgsgeschichte? Genau dieselben, die dieses Land sehenden Auges in die soziale Spaltung geführt haben.
- Es ist ein historischer Verrat an der arbeitenden Bevölkerung. Ein systematisch betriebener Wohlstandsentzug unter dem Etikett „Wettbewerbsfähigkeit“. Ein Raubzug an der Mittelschicht im Namen des Exporterfolgs. Und eine Umverteilung von unten nach oben, wie sie dreister kaum vorstellbar ist – legitimiert durch Wahlentscheidungen, die seit Jahrzehnten gegen die eigenen Interessen getroffen werden.
- Denn: Diese Parteien sind nicht an die Macht geputscht – sie wurden gewählt. Immer wieder.
- Wer sie heute noch wählt, wählt die Fortsetzung genau dieser Politik. Wählt strukturelle Armut, unterfinanzierte Bildung, steigende Altersarmut, einen sterbenden Binnenmarkt – und das weitere Auseinanderdriften einer Gesellschaft, in der nur noch Besitz schützt, nicht Leistung.
- Politisches Elend gedeiht auf politischer Bequemlichkeit.
- Wer glaubt, dass sich ohne Kurswechsel etwas ändern wird, belügt sich selbst – und seine Kinder gleich mit. Es braucht endlich den Mut, nicht nur „Veränderung“ zu fordern, sondern sie auch an der Wahlurne zu ermöglichen. Und dafür reicht es nicht, das kleinere Übel zu wählen – es braucht einen klaren Bruch mit jenen Kräften, die dieses Land über Jahrzehnte systematisch sozial ausgehöhlt haben.
Armes Deutschland – nicht, weil du es müsstest, sondern weil du es zulässt.
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