Der Ausdruck „Kriegstüchtigkeit“ bezeichnet – weit über bloße Verteidigungsfähigkeit hinaus – die vollständige Kriegsfähigkeit eines Staates, einschließlich militärischer, industrieller, gesellschaftlicher und psychologischer Dimensionen. Tatsächlich hebt das analytische Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit hervor, dass es sich um „war-capable“ handelt – und nicht nur um „ready for defense“, indem es „defense“ durch „war“ und „readiness“ durch „capability“ ersetzt. In einer öffentlichen Debatte definiert die taz präzise: „Kriegstüchtigkeit bedeutet die Fähigkeit, einen Krieg aktiv zu führen, einschließlich Angriff, Eskalation und Durchhaltevermögen im Krieg. Verteidigungsfähigkeit hingegen bezieht sich […] auf Abwehr, nicht Angriff.“ Ergänzend mahnt die Bundeswehr-Zeitschrift IF – Innere Führung, dass Kriegstüchtigkeit nicht nur die Ausstattung betrifft, sondern nur durch einen tiefgreifenden Mentalitätswandel in Armee und Gesellschaft hergestellt werden kann. Damit wird klar: Kriegstüchtigkeit geht über reine Verteidigungsfähigkeit hinaus, die lediglich auf die Abwehr eines Angriffs zielt.

Konflikt mit Recht und Verfassung

Das Grundgesetz erlaubt Streitkräfte ausdrücklich „zur Verteidigung“ (Art. 87a GG), verbietet aber die Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges (Art. 26 GG). Wer „Kriegstüchtigkeit“ im strengen Wortsinn fordert, überschreitet diese Grenze; das ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Auch völkerrechtlich gilt nach der UN-Charta (Art. 2 Abs. 4) das Verbot der Gewaltanwendung, mit einzigem Korridor der Selbstverteidigung (Art. 51). Eine allgemeine „Kriegstüchtigkeit“ als politisches Ziel widerspricht somit dem Friedensgebot sowohl des Grundgesetzes als auch des Völkerrechts.

Menschliche Dimension

Kriegstüchtig heißt: alles aufs Spiel zu setzen – Menschenleben, unsere Söhne und Töchter, gegen ihren Willen in den Tod zu schicken, um andere Söhne und Töchter, Kinder weinender Mütter, zu töten. Kriegstüchtig heißt, das zu vernichten, was Generationen aufgebaut haben: Wohlstand, Sicherheit, Recht und Freiheit. Wer „Kriegstüchtigkeit“ fordert, spricht nicht von Verteidigung, sondern von der Bereitschaft zur Selbstzerstörung – eine Rhetorik, die weder mit dem Grundgesetz noch mit der Menschlichkeit vereinbar ist. Sie richtet sich gegen die Existenz der eigenen Bevölkerung. Wer diesen Begriff in den politischen Diskurs einführt, trägt schon heute das Blut künftiger Opfer an den Händen.

Die Geschichte liefert den unmissverständlichen Nachweis

Krieg ist das unmenschlichste aller Vergehen.

  • Im Ersten Weltkrieg (1914–1918) wurden über 17 Millionen Menschen getötet, darunter etwa 10 Millionen Soldaten und rund 7 Millionen Zivilisten. Mehr als 20 Millionen wurden verwundet – viele lebenslang verstümmelt. In Verdun verloren allein über 300.000 Menschen ihr Leben innerhalb von zehn Monaten – ein Sinnbild für die absurde Grausamkeit dieses Stellungskriegs.
  • Im Zweiten Weltkrieg starben mehr als 60 Millionen Menschen; ungefähr 40 Millionen Zivilisten und 20 Millionen Soldaten. Die Sowjetunion verzeichnete rund 27 Millionen Tote, darunter 9 Millionen an der Front und nahezu 18 Millionen Zivilisten.
  • Die Schlacht von Stalingrad kostete in wenigen Monaten mehr als eine Million Menschen das Leben – symbolträchtig für die totale Verheerung.
  • Beim Krieg in der Ukraine seit 2014:
    • Im Donbass wurden bereits vor 2022 über 14 000 Menschen getötet, darunter mehrere tausend Zivilisten.
    • Seit dem Beginn der umfassenden Invasion 2022 schätzen ukrainische Quellen (Stand Dezember 2024): 43 000 Gefallene, 370 000 Verwundete. US-Behörden gehen von 60 000 bis 70 000 ukrainischen Gefallenen aus. Zusätzlich dokumentiert das Projekt UALosses (Stand August 2025) rund 74 000 Gefallene und 75 000 Vermisste.
    • Russische Verluste sind noch höher: Nach britischen und US-Quellen liegt die Gesamtzahl der Verluste bei mehr als einer Million Soldaten, davon rund 250 000 Gefallene. US-Kongressangaben schätzen 120 000 russische Tote und 170 000 bis 180 000 Verletzte. Dazu zeigt eine Medienanalyse, dass bis August 2025 bislang 220 000 entfallene russische Männer identifiziert wurden – bei weitem nicht die gesamte Zahl.

Diese Tatsachen sind keine abstrakten Statistiken, sondern Ausdruck größter menschlicher Katastrophen. Hinter jeder Zahl stehen Tod und Leid von Millionen Unschuldiger: zerstörte Städte, ausgebrannte Dörfer, hungernde Kinder, vergewaltigte Frauen, trauernde Mütter. Krieg ist niemals eine abstrakte Strategie, sondern immer brutale Realität – körperlich, moralisch, existenziell.

„Kriegstüchtigkeit“ ist daher nicht nur eine politische Fehlformel, sondern eine offene Missachtung der historischen Wahrheit.

Kritische Bewertung der Forderung der Bundesregierung & Pistorius

Die Bundesregierung und Verteidigungsminister Pistorius haben den Begriff „Kriegstüchtigkeit“ bewusst in den politischen Diskurs eingeführt – nicht als beiläufige Formulierung, sondern als programmatische Leitlinie. Damit überschreiten sie eine rote Linie: Sie verschieben die Sprache von Verteidigung zu Krieg, von Schutz zu Angriff, von Sicherheit zu Zerstörung. Wer von „Kriegstüchtigkeit“ spricht, akzeptiert nicht nur den Krieg als mögliche Option, sondern normalisiert ihn – und bereitet geistig und rhetorisch den Boden für seine Wiederkehr.

Gerade in Deutschland, wo Sprache schon einmal zur Vorbereitung totalitärer Gewalt missbraucht wurde, ist diese Wortwahl ein Tabubruch. Pistorius und die Bundesregierung machen sich mitschuldig an einer Erosion des Friedensgebots, das seit 1945 die Grundlage des Grundgesetzes bildet. Sie betreiben damit keine Stärkung der Demokratie, sondern eine Militarisierung des Denkens.

Namhaften Verfassungsjuristen zufolge droht damit eine gefährliche Grenzüberschreitung: Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek warnt, dass die politische Rede vom Krieg zu einer schleichenden Entgrenzung des Verteidigungsauftrags führen könne – eine Entwicklung, die verfassungsrechtlich unhaltbar ist. Volker Boehme-Neßler sieht in dieser Rhetorik sogar eine Gefahr für die Demokratie selbst, weil sie den Staat als permanenten Kriegsvorbereiter inszeniert und damit den Sinn von Art. 26 GG unterläuft.

Statt den Frieden als oberste Staatsraison zu stärken, werden Bürgerinnen und Bürger durch die Rede von „Kriegstüchtigkeit“ verunsichert, gespalten und Schritt für Schritt an den Gedanken gewöhnt, dass Krieg ein legitimes Mittel deutscher Politik sein könnte. Damit betreibt die Bundesregierung keine Verteidigungs-, sondern eine geistige Kriegsvorbereitung – und trägt eine historische Verantwortung, die sie leichtfertig verspielt.

Unterstützende Stimmen prominenter Persönlichkeiten

  • Papst Franziskus: „Krieg ist immer eine Niederlage – immer!“ – eine Niederlage der Menschheit.
  • Willy Brandt: „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“
  • Gustav Heinemann: „Nicht der Krieg ist der Ernstfall … sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben.“
  • Richard von Weizsäcker: Der 8. Mai sei ein „Tag der Befreiung“ – ein Ende des Krieges, nicht seine Vorbereitung, bildet den Ursprung der freiheitlichen Ordnung.
  • Dwight D. Eisenhower: „Every gun that is made … signifies … a theft from those who hunger and are not fed.“ – jede Waffe ist ein Raub an den Zivilen.
  • Immanuel Kant (Zum ewigen Frieden): „Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören.“
  • Hannah Arendt: „Macht und Gewalt sind Gegensätze; wo die eine absolut herrscht, ist die andere abwesend.“
  • Albert Einstein: „You cannot simultaneously prevent and prepare for war.“
  • Bertha von Suttner: „Die Waffen nieder!“ – Absage an den Militarismus.
  • Kurt Tucholsky: „Soldaten sind Mörder.“

Schlussfolgerung

„Kriegstüchtigkeit“ ist kein nüchternes Organisationsziel, sondern eine brandgefährliche Rhetorik. Wer diesen Begriff zur politischen Leitlinie erhebt, verlässt den Boden des Grundgesetzes und verrät den Geist von 1945. Statt Verteidigung wird totale Kriegsfähigkeit propagiert – und damit eine Denkweise, die Tod, Leid und Zerstörung bewusst in Kauf nimmt.

Die Folgen sind absehbar: Mit jeder Wiederholung des Begriffs wird die Gesellschaft Schritt für Schritt an den Gedanken gewöhnt, dass Krieg wieder „normal“ sei. Es ist die sprachliche Vorbereitung auf das größte aller Menschheitsverbrechen. Diese Rhetorik spaltet, ängstigt und treibt die Bevölkerung in eine Militarisierung, die mit Demokratie, Freiheit und Würde unvereinbar ist.

Damit setzen Bundesregierung und Verteidigungsminister Pistorius alles aufs Spiel, was Deutschland seit 1945 mühsam aufgebaut hat: Frieden, Rechtsstaat, Wohlstand, Vertrauen und internationale Verantwortung. Wer „Kriegstüchtigkeit“ fordert, legt die Axt an die Wurzeln unseres Gemeinwesens. Er bereitet nicht Sicherheit vor, sondern Unsicherheit; nicht Schutz, sondern Opfer; nicht Verteidigung, sondern Selbstzerstörung.

Am Ende dieser Logik stehen nicht Stärke und Souveränität, sondern weinende Mütter, tote Kinder, zerstörte Städte und eine Gesellschaft, die alles verloren hat, wofür das Grundgesetz geschaffen wurde: die Sicherung des Friedens. „Kriegstüchtigkeit“ ist darum nicht nur ein falsches Wort – es ist ein Verrat an der Menschlichkeit.


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